Mit einem Facebook-Foto von seinem Baby mit den Kommentar „Doctor’s visit – time for vaccines“ löste Mark Zuckerberg am 8. Jänner eine internationale Impfdebatte aus. Jetzt, am Samstag, den 16. Jänner, informieren internationale Experten 800 Mediziner, und Personen aus diversen Gesundheitsbereichen im Austria Center Vienna über das Zusammenspiel von personalisierten Impfungen und universellen Impfprogrammen. Risikogruppen wie Frühgeborene, Krebspatienten und Auto-Immun-Erkrankte erfordern individuelle Prävention. Künftig soll der elektronische Impfpass für bessere Datenerfassung sorgen und bei der gezielten Steigerung der Durchimpfungsraten unterstützen.
Auf einen Blick:
- Individuell abgestimmte Impfungen werden aufgrund veränderter Demographie immer wichtiger
- Geringe Durchimpfungsrate bei Erwachsenen gefährdet Herdenschutz
- Elga soll helfen, bestehende Impflücken zu schließen
Personalisierte Medizin – personalisiertes Impfen – Status quo
„In vielen medizinischen Disziplinen erweist sich eine mehr an den individuellen Patienten zugeschnittene Behandlung als sehr erfolgreich. Daher ist es Zeit, sich auch zu überlegen, ob und wie wir diese individualisierte Medizin auch beim Impfen anwenden können“, so Univ. Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedzin der MedUni Wien und wissenschaftliche Leiterin des Österreichischen Impftages 2016. Notwendig wird dieser Schritt aufgrund der geänderten Gesellschaftsdemographie. Wurden bisher Impfstoffe v.a. für eine breite gesunde Masse an Menschen entwickelt, stellen zunehmend spezifische Gruppen wie Frühgeborene, chronisch Kranke und ältere Menschen neue Herausforderungen dar. So haben vor allem chronisch Kranke besondere Infektionsanfälligkeiten und ältere Menschen aber auch Frühgeborene generell ein Immunsystem, das schlechter auf Schutzimpfungen anspricht. Auch durch Biologika, die bei Auto-Immun-Krankheiten wie Schuppenflechte (Psoriasis) und rheumatologischer Arthritis zur Therapie verabreicht werden, kommt es durch das Eingreifen in das Immunsystem zu bestimmten Infektionsanfälligkeiten. Mit individualisierten Impfstrategien soll nun zukünftig gezielter auf die Bedürfnisse dieser Risikogruppen eingegangen werden.
Um individuelles Impfen zu realisieren, gilt es nun zu erforschen wie bei den einzelnen Risikogruppen die Impfdosen angepasst werden müssen, welche anderen Hilfsstoffe verwendet werden müssen und ob alternative Impfrouten, also andere Körperbereiche, in die die Impfung erfolgt, den Impferfolg erhöhen können.
Universelle Impfprogramme bleiben wichtigste Prophylaxe
Gleichzeitig verfolgen die Vakzinologen weiterhin die Strategie möglichst hoher Durchimpfungsraten in der Bevölkerung. „Das ist essentiell, denn aufgrund erhöhter „Impfmüdigkeit“ greift der „Herdenschutz“ nicht mehr richtig und es können sich Krankheiten leichter ausbreiten“, so Wiedermann-Schmidt. Während im Säuglings- und Kleinkindsalter generell noch regelmäßig und umfassend geimpft wird, werden Nachfolgeimpfungen bei Jugendlichen und Erwachsenen vernachlässigt. Wiedermann-Schmidt erklärt sich diese Impfmüdigkeit damit, dass „Kinderkrankheiten“, die höchst infektiös und auch für Erwachsene gefährlich sein können, häufig als „harmlos“ abgetan werden und, insbesondere bei Masern, Keuchhusten oder Polio, die Gefährlichkeit bzw. das Risko auch im Erwachsenenalter zu erkranken verkannt wird.
So können Masern Mittelohr- oder Lungen- (Pneumonie) aber auch Hirnentzündungen (Enzephalitis) hervorrufen, die tödlich ausfallen oder mit schweren Folgeerkrankungen einhergehen können. Bei Säuglingen ist so aufgrund einer Masernansteckung die Entstehung einer SSPE (Subakute Sklerosierende Pan-Encephalitis), eine langwierig verlaufende Entzündung des Gehirns mit Todesfolge, gefürchtet. Auch Polio ist eine hochansteckende Infektionskrankheit, die zu irreversiblen Lähmungen oder Tod führen kann. Sie galt lange Zeit als besiegt und gewinnt wieder im Zuge der Flüchtlingsstörme wieder an Bedeutung.
An Influenza und ihren Folgeerkrankungen sterben alleine in Österreich jährlich etwa an die 1.000 Menschen. Die WHO fordert seit Jahren bei Influenza eine Durchimpfungsrate von 70 % – in Österreich liegt sie bei knapp 8 %.
Zusätzlich herrschen nach wie vor Ängste vor möglichen Nebenwirkungen der Impfung, die jedoch aufgrund hochqualitativer Impfstoffe, strengen Auflagen der EMA (Europäische Arzneimittelagentur) und jahrelangen Erfahrungswerten sehr gering sind, in der Bevölkerung vor.
„Es ist bedrückend, dass wir uns weiterhin sehr stark mit Krankheiten beschäftigen müssen, die wir durch eine höhere Durchimpfungsrate gut im Griff haben könnten oder gar – wenn alle Länder wie bei den Pocken an einen Strang ziehen – ausgerottet werden könnten“, betont die wissenschaftliche Leiterin des Österreichischen Impftages.
Impfen bei Schwangerschaft und Stillzeit bereits teilweise möglich
Gerade Schwangere und Babys bedürfen einer besonderen Betrachtung. Wiedermann-Schmidt spricht sich daher sehr stark für „Get prepared for pregnancy“-Programme aus, die als Vorbereitung für eine Schwangerschaft Impfungen wie Masern, Mumps, Röteln, Feuchtblattern, Diphtherie, Tetanus u.ä. forcieren. Sollte die Schutzimpfung vor der Schwangerschaft versäumt worden sein, gibt es einige Impfungen – wie Keuchhusten und Influenza – die auch während der Schwangerschaft durchgeführt werden können. Lebendimpfungen wie Masern, Röteln oder Varizellen sind aber in der Schwangerschaft kontraindiziert. Spätestens wenn der Säugling auf der Welt ist, sollten in der Stillperiode auch die anderen für Österreich nötigen Lebendimpfungen nachgeholt werden, um Mutter und Kind einen möglichst hohen „Immunschutz“ zu gewährleisten. Neu am österreichischen Impfplan ist eine präzisierte Empfehlung für die Meningokokken-B-Impfung im Säuglings-Kleinkindalter. „Die Beobachtungen im letzten Jahr weisen der Impfung eine gute Verträglichkeit aus, sodass die Verwendung im Säuglingsalter zur Verhinderung gefürchteter Meningitis-Erkrankung (Gehirnhautentzündung) empfohlen werden kann“, so Wiedermann-Schmidt.
Helfer schützen
Das Engagement der österreichischen Bevölkerung und der Hilfsdienste bei der Betreuung von Flüchtlingen ist sehr hoch. Dabei sind die Helferinnen und Helfer allerdings oft mit kranken Personen in Kontakt. Dies birgt auch das Risiko einer Ansteckung mit Krankheiten. Daher hat das Gesundheitsministerium Impfempfehlungen für Helfer und Flüchtlinge für grundlegende Schutzimpfungen wie z. B: Masern, oder gegen Diphtherie/Tetanus/Polio/Pertussis.
Auch für Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, gibt es ebenfalls entsprechende Empfehlungen. Seit letztem Jahr werden sogar verpflichtende Impfungen diskutiert, wie die Masernimpfung. Wiedermann-Schmidt wünscht sich , dass das Gesundheitspersonal mit gutem Beispiel voran geht, um sich selbst und die PatientInnen mit denen sie arbeiten, zu schützen. „Der beste Weg, um Vertrauen in Impfungen zu schaffen ist, sie selbst vorzuleben“, so die Vakzinologin.
Elga: künftig Instrument zum Schließen von „Impflücken“?
Während einige Risikogruppen, wie etwa Krebspatienten, Auto-Immun-Erkrankte und ältere Menschen , und deren Schutzbedürfnisse bereits bekannt sind und gerade im Detail erforscht werden, gestaltet sich das Identifizieren weiterer Risikogruppen noch als schwierig. Zudem fehlen derzeit – bis auf die Daten von den verpflichtenden Impfungen bei Babys und Kleinstkindern – Impfdaten, die Rückschlüsse auf die reale Durchimpfungsrate in der Erwachsenen-Bevölkerung zulassen. Daher kann man derzeit aufgrund mangelnder Impfdaten nur retrospetiv, nämlich bei gehäuftem Auftretenden von impfpräventablen Erkrankungen, auf die Impflückenindirekt rückschließen und reagieren. Von der Einführung des elektronischen Impfpasses, wie er bei elga mitdiskutiert und geplant wird, erhofft sich Wiedermann-Schmidt, schneller „Impflücken“ in der Bevölkerung und Risikogruppen identifizieren zu können, um entsprechende Impfprogramme und Nachholimpfungen zu installieren. Von Seiten der Forschung kann die Entwicklung von Impfstoffen für bestimmte Zielgruppen forciert werden.
Zusammenspiel von individualisierter Medizin und universellen Impfprogrammen
Personalisiertes Impfen und universelle Impfprogramme sollen sich daher in Zukunft noch stärker ergänzen. „Wir brauchen beide Ansätze, um die Menschen in jeder Lebenslage und auch ihr Gegenüber vor gefährlichen Krankheitserregern schützen zu können,“ so die wissenschaftliche Leiterin des Österreichischen Impftages 2016.
Um für sich selbst das ideale Verhältnis zwischen individuellen Bedürfnissen und universellen Schutzimpfungen zu erzielen, rät Wiedermann-Schmidt den PatientInnen, sich mit dem eigenen Impfpass von seinem/ihrem behandelten Arzt, Apothekern, Hausärzten, Kinderärzten beraten zu lassen. Anlaufstellen für spezielle Risikogruppen sind auch Impfzentren, wie jenes der Meduni Wien in der Kinderspitalgasse. Einen guten Überblick zum Österreichischen Impfplan bietet auch die Website des Gesundheitsministeriums: http://bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Gesundheitsfoerderung_Praevention/Impfen/