Ob es dieses Jahr tatsächlich eine Influenza-Saison geben wird und wie heftig sie ausfällt, hängt maßgeblich mit der internationalen Reisetätigkeit und den COVID-Maßnahmen zusammen. Im letzten Jahr war die Durchimpfungsrate – für österreichische Verhältnisse – sehr hoch. Es steht jedoch die Befürchtung im Raum, dass sie dieses Jahr aufgrund der ausgebliebenen Influenza-Welle im letzten Winter wieder sinken könnte. Das könnte im Ernstfall fatale Folgen haben – für die Betroffenen und das Gesundheitssystem. Auch um ein gleichzeitiges Ansteigen der COVID-19- und Influenza-Erkrankungen zu vermeiden, muss alles daran gesetzt werden, die Durchimpfungsrate vom letzten Jahr zumindest zu halten. Die Impfstoffhersteller und der Bund haben jedenfalls vorgesorgt. Auch heuer steht ähnlich viel Impfstoff zur Verfügung, wie letztes Jahr, unter anderem in Form von Gratis-Impfstoffen für Kinder und Menschen in Alten- und Pflegeheimen. Alle Impfstoffe sind bereits im Land und verfügbar.
Zwei Variablen ausschlaggebend
„Aktuell sind viele COVID-Hygienemaßnahmen nach wie vor in Kraft. Die internationale Reisetätigkeit ist immer noch stark eingeschränkt“, erläutert Priv. Doz.in Dr.in Monika Redlberger-Fritz, Leiterin des Nationalen Referenzlabors für die Erfassung und Überwachung von Influenza-Virusinfektionen und Mitglied des Nationalen Impfgremiums. Da jedoch immer mehr Länder ihre Maßnahmen lockern würden, erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, dass Influenza-Viren eingeschleppt werden könnten, so die Influenza-Expertin. „Sollten auch bei uns noch im Winter die COVID-Restriktionen zurückgefahren werden, haben die Influenza-Viren eine Chance, sich auch hierzulande auszubreiten.“
Wenn Grippewelle, dann eine starke
In diesem Fall befürchtet sie eine besonders starke Influenza-Welle. „Aus den Beobachtungen der letzten 20 Jahre weiß man, dass nach einer schwachen Influenza-Saison die nächste umso massiver ausfällt.“ Dieses Jahr gäbe es dafür gleich mehrere Gründe, erläutert sie. „Normalerweise kommt ein gewisser Teil der Bevölkerung während einer Influenza-Saison mit dem Virus in Kontakt, ohne Symptome zu entwickeln. Dadurch kommt es zu einer „stillen Feiung“. Das Immunsystem wird quasi „upgedatet“. Auch wenn in der darauffolgenden Saison ein anderer Virusstamm vorherrscht, entsteht dennoch eine gewisse Kreuzprotektivität und damit ein gewisser Schutz. Dieses „Update“ ist letzte Saison ausgefallen.“ Außerdem gäbe es mittlerweile drei Geburtenjahrgänge (240.000 Kinder), die noch nie Kontakt mit einem der vier humanpathogenen Virusstämme (H3) gehabt hätten. Im Fall einer Infektion könnten sie aufgrund ihrer hohen Viruslast und der langen Infektiosität zu Superspreadern werden, warnt Redlberger-Fritz.
Hotspots Schulen und Kindergärten
Ähnliches fürchtet auch ihr Kollege im Nationalen Impfgremium, Dr. Albrecht Prieler. „Das Influenza-Virus verbreitet sich in Schulen und Kindergärten rasant. Ähnlich wie bei COVID-19 ist man mit Influenza auch schon vor Ausbruch der Symptome ansteckend, die Inkubationszeit ist kurz.“ Die Folge sei, dass oft ganze Kindergartengruppen oder Klassen an Influenza erkrankten. Während bei gesunden Kindern über sechs Jahre schwere Verläufe eher selten seien, käme ihnen als Überträger*innen oft eine entscheidende Rolle zu: „Sie schleppen das Influenza-Virus in die Haushalte ein, was besonders für dort lebende ältere Menschen gefährlich werden kann“, erläutert Prieler. „Das Letzte, das wir brauchen, sind Spitäler, die sich zusätzlich zu den COVID-Erkrankten auch noch mit Influenza-Patient*innen füllen. Ziel muss sein, die Influenza-Epidemie so niedrig wie möglich zu halten, auch, um einen weiteren Lockdown zu verhindern und wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen zu minimieren.“ Prinzipiell empfehlen Expert:innen Kinder rechtzeitig vor Schulbeginn impfen zu lassen, welche Impfungen für Kinder sinnvoll sind (Impfkalender) erfährt man von der Kinderfachärztin bzw. vom Kinderfacharzt.
Nachlässigkeit verhindern
Um dies zu verhindern, müssten sich möglichst viele Menschen gegen Influenza impfen lassen, darüber sind sich alle Expert*innen einig. „Letzte Saison wurde erstmals eine Durchimpfungsrate von über 20 Prozent, konkret 21,28 Prozent, erreicht“, berichtet Mag.a Renée Gallo-Daniel, Präsidentin des Österreichischen Verbandes der Impfstoffhersteller. „Das war ein großer Sprung im Vergleich zu den 8,53 Prozent im Jahr davor. Dennoch sind auch die 21 Prozent immer noch viel zu wenig im Vergleich zur 75-prozentigen Durchimpfungsrate, die die EU und die WHO für die Gruppe der älteren Menschen und Risikopersonen empfehlen.“ 2021/2022 müsste dieser Wert zumindest gehalten und zukünftig noch weiter ausgebaut werden. „Dafür stellen die impfstoffherstellenden Unternehmen diese Saison insgesamt wieder 1,823 Millionen Impfstoffdosen zur Verfügung“, so Gallo-Daniel. „Es ist allerdings zu befürchten, dass die Impfbereitschaft wieder zurückgehen wird“ warnt sie. In Australien sei die Durchimpfungsrate gegen die saisonale Influenza deutlich geringer ausgefallen als im Jahr davor. Dies sei eine klare Botschaft, dass es notwendig sei, zusätzlich zur Fortsetzung des COVID-19-Impfprogramms auch die Anwendung anderer Impfungen zu fördern. Davor wird auch in einem Positionspapier mehrerer europäischer Fachgesellschaften gemeinsam mit den impfstoffherstellenden Unternehmen gewarnt.
Impfstoffe bereits im Land
Ähnlich sieht die Situation Priv.-Doz.in Mag.a Dr.in Maria Paulke-Korinek, PhD, DTM, Leiterin Abteilung für Impfwesen, Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und Mitglied des Nationalen Impfgremiums: „Die Influenza-Impfung ist in jedem Fall zu empfehlen, selbst wenn die Influenza-Saison heuer aufgrund andauernder COVID-19-Hygienemaßnahmen noch einmal entfallen sollte. Denn: Wer sich jedes Jahr gegen Influenza impfen lässt, profitiert auch langfristig. Der Körper kann daher im Fall eines Kontakts mit dem Virus zielgerichteter und schneller reagieren.“ Wie letztes Jahr werden auch dieses Jahr wieder etwa 300.000 Impfstoffdosen im Rahmen des kostenfreien Kinderimpfprogrammes des Bundes, der Bundesländer und der Sozialversicherungsträger für Kinder zwischen sechs Monaten und 15 Jahren zur Verfügung gestellt. Dazu kämen insgesamt 100.000 Dosen Hochdosis- beziehungsweise adjuvantierte Impfstoffe für Personen in Alten- und Pflegeheimen. „Die Influenza-Impfung wird jedem/jeder, der/die sich schützen will, unabhängig vom Alter empfohlen. Besonders nachdrücklich aber Personen ab dem vollendeten 60. Lebensjahr, chronisch Kranken, Personengruppen mit Risikofaktoren und Personal in Gesundheitswesen, Altenpflege und Kinderbetreuung“, betont Paulke-Korinek.
Die ersten Impfstoffe (ausschließlich Vierfach-Impfstoffe) seien bereits im Land und könnten verimpft werden. Der optimale Zeitpunkt dafür sei zwischen Ende Oktober und Mitte November. Aber auch dann, wenn bereits Fälle registriert werden, sei es noch sinnvoll, sich impfen zu lassen, so die Impfexpertin. „Es ist nicht notwendig, einen zeitlichen Abstand zu anderen Impfungen einzuhalten.“ Die Influenza-Impfung werde heuer übrigens ebenso wie die COVID-19-Impfung im e-Impfpass dokumentiert.