“Jeder Tumor ist anders, ein Tumor agiert fast wie ein Lebewesen, das die besten Strategien entwickelt, um in einem bestimmten Menschen zu überleben. In der Medizin sprechen wir von Tumorheterogenität. Deshalb ist eine personalisierte individuelle Diagnose gerade bei Krebs so wichtig. Wir wollen in einem möglichst frühen Stadium der Krebserkrankung in der Lage sein, den Tumor zu charakterisieren, seine Aggressivität zu beurteilen und zu erkennen, ob er Metastasen gebildet hat. Je besser wir einen Tumor verstehen, desto gezielter kann die Therapie für die Patientin oder den Patienten gesteuert werden”, so Markus Mitterhauser, Leiter des Ludwig Boltzmann Institut Applied Diagnostics, anlässlich der Eröffnungsfeier am 2. Mai 2017.
Das Ludwig Boltzmann Institut Applied Diagnostics nahm im September 2016 seine Arbeit auf und beschäftigt sich speziell mit der Diagnose von Prostatakrebs und Dickdarmkrebs. Laut Weltgesundheitsorganisation ist Prostatakrebs bei Männern der am häufigsten diagnostizierte Tumor, Dickdarmkarzinom steht bei Männern an dritter Stelle und bei Frauen an zweiter Stelle der diagnostizierten Krebserkrankungen.
Inzwischen wurden am Institut die vier Forschungsgruppen eingerichtet und die ersten Projekte gestartet. Insgesamt arbeiten 15 WissenschaftlerInnen aus sieben Ländern am Institut, darunter fünf Key-researcher und zwei Postdocs. Die WissenschaftlerInnen arbeiten interdisziplinär und stammen aus den Fachgebieten Molekularbiologie, Chemie, Medizin und Gesundheitsökonomie. “Wer bei der Ausschreibung für ein Ludwig Boltzmann Institut reüssiert, den erwarten gute Rahmenbedingungen für Spitzenforschung in einer Größenordnung, die auch internationale Sichtbarkeit erlangen kann”, so Josef Pröll, Präsident der Ludwig Boltzmann Gesellschaft, anlässlich der Eröffnungsfeier.
Duale Biomarker für die Diagnose von Prostata- und Dickdarmkrebs
Die Teams am LBI Applied Diagnostics erforschen den Einsatz von sogenannten dualen Biomarkern für die Diagnose von Prostata- und Kolonkarzinom. Duale Biomarker kombinieren zwei wichtige Technologien zur Krebsdiagnose: molekularbiologische Tumordiagnostik (Liquid Biopsy) und molekulare Bildgebung mittels Nuklearmedizin und Radiopharmaka. “Wir sind weltweit die ersten, die speziell zum Thema duale Biomarker forschen, und versprechen uns von unserer Forschungsarbeit ein besseres Verständnis der Tumore und dadurch eine viel genauere Diagnostik”, so Institutsleiter Mitterhauser.
Liquid Biopsy soll langfristig schmerzhafte Biopsie ersetzen
Mit Liquid Biopsy können bösartige genetische und biochemische Veränderungen in Tumoren anhand von Tumor-DNA oder zirkulierenden Tumorzellen im Blut erkannt werden. Sieht man sich diese Veränderungen der Tumor-DNA in den Blutproben genau an, können Rückschlüsse auf die Art des Tumors gezogen werden und die Aggressivität des Tumors beurteilt werden. “Je besser wir die biochemischen Veränderungen im Tumor verstehen, desto besser funktioniert die Diagnose und auch die nachfolgende Therapie. Die Liquid Biopsy hat außerdem den Vorteil, dass den Patientinnen und Patienten sehr schmerzhafte Gewebebiopsien erspart bleiben. Wir brauchen nur eine Blutprobe, die wir dann im Labor analysieren. Auch aus diesem Grund arbeiten wir daran, dass wir langfristig die Anzahl an invasiven Biopsien durch Liquid Biopsy vermindern können”, erklärt Molekularbiologin Gerda Egger, die stellvertretende Institutsleiterin ist und die Forschungsgruppe Molekularpathologie leitet.
Aus den Ergebnissen der Liquid Biopsy werden die Informationen gewonnen, mit denen das richtige Radiopharmakon für jeden Menschen identifiziert und hergestellt werden kann. Die molekulare Bildgebung mittels nuklearmedizinischer Methoden ist der zweite Schritt beim Einsatz von dualen Biomarkern. Radiopharmaka, also radioaktive Arzneimittel, dienen dazu, die molekularen Veränderungen in bösartigem Gewebe darzustellen und zu Bildern zu machen. “Das ist eine besonders genaue Methode”, erklärt Nuklearmediziner Mitterhauser. “Das Radiopharmakon wird der Krebspatientin oder dem Krebspatienten initiiert, es verteilt sich zuerst im ganzen Körper, bleibt am Ende aber genau am Tumor und an den Metastasen haften. Ein klassisches Radiopharmakon ist etwa radioaktiver Zucker. Mit dem Radiopharmakon im Körper kommt die Patientin oder der Patient in einen Scanner, wo wir mit molekularer Bildgebung das Radiopharmakon aufspüren und den Tumor genau ansehen und charakterisieren können.” Daran arbeitet die Forschungsgruppe “Imaging Biomarkers”, die vom Chemiker Thomas Mindt geleitet wird.
“Uns geht es bei unserer Forschung nicht um die Bildgebung per se. Wir interessieren uns vielmehr für die Information, die in den Bildern steckt, wir wollen die Biochemie im Tumor verstehen. Je besser wir die biochemischen Veränderungen durchschauen, desto genauer können wir den Tumor diagnostizieren und kann eine Therapie gesteuert werden”, so Mitterhauser. “Der Einsatz von dualen Biomarkern soll eine zielgenaue Therapie vorbereiten. Die Ergebnisse aus unserer Forschung fließen schrittweise und laufend in die Diagnostik und Therapie für die PatientInnen ein. Das ist für uns besonders wichtig, denn erstens kommt unsere Grundlagenforschung ohne Zeitverzögerung bei den PatientInnen an und zweitens gibt uns die Anwendung in der Klinik wichtige Rückmeldungen für unsere Arbeit.” Die Forschungsgruppe “Klinische Anwendungen” wird vom Mediziner Markus Zeitlinger geleitet.
Eine weitere Forschungsgruppe am Institut, geleitet von der Gesundheitsökonomin Judit Simon, beschäftigt sich speziell mit ethischen Fragen der Krebsdiagnostik und mit Gesundheitsökonomie, also den Kosten für das Gesundheitssystem.
Das Ludwig Boltzmann Institut Applied Diagnostics wurde von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft GmbH zusammen mit der Medizinischen Universität Wien, GE Healthcare Ltd. (Großbritannien), einigen Unternehmen der Molecular Diagnostic Group (Deutschland), Hermes Medical Solutions AB (Schweden), IASON GmbH (Österreich) und Oncotest GmbH (Deutschland) gegründet.